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!2 / 2016

12 / 2016

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Was hat Sie denn nach Löbau

gebracht?

Nachdem ich das Buch geschrie-

ben habe organisiert der Verlag

dann immer, dass ich bei irgend-

welchen Gelegenheiten das Buch

vorstelle. Das sind natürlich im

Kern immer politische Gesprä-

che. Eigentlich möchte der Ver-

lag immer, dass ich durch die

Gegend fahre und aus dem Buch

vorlese. Das mache ich aber nicht.

Das halte ich bei Sachbüchern

für völlig daneben, was anderes

wäre Belletristik, aber die schrei-

be ich ja nicht. Deshalb sage ich

immer wenn, dann muss man

ein Gespräch führen und dabei

kann man ernsthafte politische

Themen anschneiden, von der

Krise in der gegenwärtig die Welt

steckt, auch die EU steckt, auch

Deutschland steckt, die Flücht-

lingsfragen, die Rentenfragen, die

Armut von Kindern und gleichzei-

tig kann ich auch ein paar per-

sönliche und paar unterhaltende

Momente mit einbringen, sonst

wird es ja auch zu langweilig.

Sie hatte ja heute mal angespro-

chen, die angespannte Lage in

der Weltpolitik. Ein Thema ist für

mich recht interessant, was von

vielen unserer Kunden, Unter-

nehmern hier in der Region,

immer wieder angeschnitten

wird, die angespannte Lage mit

Russland, das Export-Embargo,

was ja gerade auch hier für die

sächsischen Unternehmen, die

eine lange Tradition haben zur

russischen Wirtschaft, derzeit

eine sehr große Problematik

darstellt.

Das war ein schwerwiegender

Fehler man hätte die Sanktionen

der EU gegen Russland niemals

beschließen dürfen. Damals hat-

te die amerikanische Administ-

ration so einen Druck gemacht

und sie haben dem Druck nach-

gegeben, anstatt sich dagegen

zu wehren. Die Amis kostet das

gar nichts, dieses Embargo, aber

unsere Wirtschaft kostet das viel.

Ich kenne sogar mittelständische

Unternehmen die stehen kurz vor

dem Aus. Ganz abgesehen davon,

hätten wir von Anfang an, auch

im Interesse der Ukraine, vermit-

teln müssen. Das wär die einzige

Lösung gewesen. Auf Sanktionen

reagiert ja nun auch wieder Russ-

land und Russland ist eine ato-

mare Weltmacht. Wir sehen jetzt

die Rolle von Russland in Syrien.

Auf der anderen Seite ohne Russ-

land wäre das wichtige Abkom-

men mit dem Iran nie zustande

gekommen, das muss man auch

sehen. Und deshalb, das ganze

Verhalten ist wirklich grotten-

falsch, kann ich nur sagen. Jetzt

verbündet der sich mit Erdogan,

an dem ich viel Kritik habe, auch

gegen die EU. Weil er natürlich

die EU nicht mehr leiden kann,

die hat ja Sanktionen gegen ihn

beschlossen. Also das ist alles

ein Prozess, den man stoppen

muss. Wir müssen die Sanktionen

gegen Russland beenden und

eine Vermittlerrolle spielen, auch

im Interesse der Ukraine.

Eine weitere Frage: Welche Prä-

senz sehen sie für die Linke in

Sachsen. Wir sind ja jetzt hier in

Löbau, ich glaube bei der letz-

ten Wahl waren es knapp 20

% hier in Löbau oder auch im

angrenzenden Landkreis Baut-

zen.

Also ich glaube, dass die „Die

Linke“ in Sachsen gute Chancen

hat, wenn sie erstens begreift,

dass wir nicht mehr die Rolle der

Pretesk-Partei? (Protestpartei) so

spielen, wie wir sie früher spielen

konnten, das liegt einfach an den

geänderten Zuständen. Ich sag´s

ja, wir haben schon mitregiert in

Mecklenburg-Vorpommern. Wir

haben mitregiert in Berlin, wir

regieren zurzeit mit in Branden-

burg und stellen in Thüringen

sogar den Ministerpräsidenten,

da giltst du irgendwie als eta-

bliert, das kann uns ja stören,

weil wir sozial ja immer noch die

schärfsten Proteste organisieren.

Übrigens im Unterschied zur AfD,

die ja ein asoziales Programm

hat, was Steuern und andere Din-

ge betrifft. Aber das ist so, wenn

man das weiß, muss man sagen,

hier in Sachsen spielen wir eine

andere Rolle. Hier waren wir ja

immer bisher in Opposition, das

kann man natürlich auch ausfah-

ren. Gleichzeitig muss man sich

auch um neue Wählerschichten

kümmern. Wir müssen für die

armen Teile der Bevölkerung

da sein, aber wir müssen auch

für die Arbeitnehmerinnen und

Arbeitnehmer da sein und wir

müssen für die Mitte der Gesell-

schaft da sein, also auch für die

Lehrerinnen und Lehrer, auch

für die Polizistinnen und Polizis-

ten und auch für die kleinen und

mittleren Unternehmerinnen und

Unternehmer. Denn wenn wir

wirklich die Macht der Konzerne

beschränken wollen, geht das nur

im Bündnis mit dem Mittelstand.

Ohne den Mittelstand geht das

nie.

Sie sprachen gerade die AfD an,

hätten Sie die Tendenzen bei

der der letzten Wahl so voraus

gesehen oder waren sie selber

erschrocken?

Nein. Zunächst als sie aufkam,

war mir schon klar, dass sie jetzt

einen Protest bedient, dass sie

die große Zahl der Flüchtlinge

benutzt und das alle Menschen

mit abstrakten Ängsten dann

eben sie auch wählen, einmal

die die arm sind weil sie denken,

wenn es mehr Arme gibt, wird

ihnen etwas entzogen, was falsch

ist, die Hartz IV-Empfängerin hat-

te vorher nicht mehr und hat jetzt

auch nicht weniger, aber trotz-

dem gibt es die Angst. Und dann

die, die etwas besitzen, die haben

Angst in Armut zu verfallen. Das

muss man ernst nehmen. Und

deshalb muss man gegen die

AfD etwas anderes unternehmen.

Zum Beispiel schlägt die AfD ja

vor, dass die Lidl-Kassiererin und

der Vorstandsvorsitzende der

Deutschen Bank den gleichen

Steuersatz auf die Einkommens-

steuer bezahlen, - den gleichen

Steuersatz! die Lidl-Kassiererin

und der Vorstandsvorsitzende

der Deutschen Bank! Also das

hat noch nicht mal die FDP bisher

vorgeschlagen oder die Union.

Das schlägt aber die AfD vor. Und

die AfD schlägt vor, auf gar keinen

Fall auch bei großen Erbschaf-

ten eine Steuer zu erheben, auf

gar keinen Fall eine Vermögens-

steuer zu erheben. Sie will die

gesetzliche Rente weiter kürzen

und Hartz IV auch weiter kürzen.

Das wissen die Leute gar nicht.

Das ärgert mich ja so, weil sie in

den Medien immer nur nach den

Flüchtlingen gefragt werden und

nach keinem anderen Thema. Ich

würde die mal gerne nach den

Themen befragen, damit die Leu-

te wissen, was sie da eigentlich

wählen. Aber sie wählen sie ja

nicht wegen der inneren Struk-

tur sondern aus Protest. Weil sie

eins natürlich wissen, alle ärgern

sich am meisten über die Wahl

der AfD und wenn du alle ärgern

willst, dann wählst du schon des-

halb so.

Frau Dr. Merkel sagte ja, wir

müssen neue Wählerschichten

mobilisieren. Leider schafft das

momentan nur die AfD.

Naja, das liegt daran, dass sie die

konservative Partei sozialdemo-

kratisiert hat und Schröder und

Gabriel haben die SPD entsozial-

demokratisiert.

Gehen sie mal auf die Straße

und bitten sie die Leute zehn

Unterschiede zwischen SPD und

CDU zu sagen! Wenn die auf

zwei kommen, dann geht das

weit. Das ist das Problem, und

deshalb ist am rechten Rand

so viel frei geworden. Deshalb

muss die Union und Oppositi-

on auf Bundesebene geschickt

werden, damit sie einen Teil der

AfD-Wählerschaft integriert und

dann können wir sie auch wie-

der überflüssig machen. Außer-

dem muss dann eine andere

Regierung die sozialen Probleme

lösen.

Wenn die Abgehängten sich

plötzlich mitgenommen fühlen,

wenn es viel weniger prekäre

Beschäftigung gibt und so wei-

ter, dann lösen wir doch auch

Probleme, die dazu führten, dass

Rechts und AfD gewählt wird.

Eine letzte Frage vielleicht

noch: Wir bei uns hier in Baut-

zen haben einen Bürgermeister,

der auch von der Linken gestellt

wurde, der eine sehr libera-

le Asylpolitik fährt, es gibt ja

immer mehr Unruhen zwischen

rechten Gruppierungen und

den linken. Wie sehen sie die

Asylpolitik von morgen?

Ja, er macht einfach eine anstän-

dige Politik, glaube ich. Aber zwei-

tens muss er auch das Geld dafür

bekommen, darum muss er strei-

ten. Außerdem gibt es den besten

Senf der Welt in Bautzen und da

gehört auch ein Linker Bürger-

meister hin, weil wir doch scharf

sind, in gewisser Hinsicht.

Es gibt noch einen weiteren Grund

den wir sehen müssen, wir werden

das Asylproblem nur lösen, wenn

wir die Fluchtursachen bekämp-

fen. Wir müssen den Hungertod

überwinden, weltweit. Wir müs-

sen Not und Elend weltweit über-

winden und wir müssen die Kriege

beenden und dann können wir

mit all diesen Faktoren gut leben,

sonst nicht. Eine Mauer hilft uns

nicht, die wird gestürmt, bricht

zusammen und dann wird die

Situation unbeherrschbar.

Dankeschön, Herr Gysi.

Bitteschön!

Interview: David Brettel | Bilder: Kerstin Kunath

Als Gregor Gysi am 14.September 2016 in Löbau sein Buch „Nachdenken über Deutschland - wie weiter?“

im Gespräch mit Jürgen Rummel vorstellte, traf der FILOU ihn und stellte ihm einige Fragen:

Mit Gregor Gysi im Gespräch

Nach der Veranstaltung musste der beliebte Politiker noch zahlreiche Autogramme schreiben

Gregor Gysi

Wie weiter?

Nachdenken über Deutschland

192 Seiten, brosch., mit Abb.

12,99 €

ISBN 978-3-360-02164-9

auch als E-Book erhältlich:

ISBN 978-3-360-50042-7

Eulenspiegel Verlagsgruppe

Das Neue Berlin

Gregor Gysi

Geboren 1948 in Berlin, seit 1971

Rechtsanwalt, von 1989 bis 1993

Vorsitzender der PDS, von 2005

bis Oktober 2015 Vorsitzender

der Linksfraktion im Bundestag.

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